„Made in Germany“ - ein Qualitätsmerkmal. Wohl kaum ein anderer Ausspruch fasst die Vorurteile über uns Teutonen treffender zusammen. Technisch einwandfrei, bestes Material, gebaut von Spezialisten, gemacht für die Ewigkeit, präzise gefertigt. Auch wenn viele Produkte diesen Standards heutzutage nicht mehr gerecht werden (#früherwarallesbesser), so dürfen sich
Obscura
aus Landshut gerne einen „Made in Germany“-Aufkleber auf die Plattenhülle pappen. Allzu groß darf er aber nicht sein, er würde ein tolles Artwork stören. Die beiden Schriftzüge auf der Front verraten, wo es hin geht: Deathprog trifft Tech.
Clandestine Stars und Emergent Evolution geben die Richtung vor. Epische Soli, verprogte Parts, dazu drückt der Thrash angenehm auf’s Gas, doppelläufige Gitarren batteln sich mit einer unfassbar geilen Rhythmussektion – ein wahnsinniger Stilmix, der im Endprodukt dennoch klar gemischt wurde. Alles klingt derbe fett zusammen und doch bekommt jeder Musiker genügend eigenen Raum. Von Anfang an ist klar: hier sind absolute Profis am Werk.
Sehr eigenwillig wirkt beim ersten Durchlauf der Flanger über der Stimme. Stellt man das Album aber in den Kontext mit den vorangegangen drei Platten, dessen Abschluss „Diluvium“ bildet, ergeben die gepitchten Vocals Sinn: es geht um Tod, den Übergang ins Nichts, in andere Sphären, in den unendlichen Cosmos. Die Vocals erhalten dank dem Effekt eine ordentliche Portion Science-Fiction und bilden eine coole Abwechslung zur typischen Melodic Death-Schablone „Gegrunze – Klargesang – Gegrunze“. Beam me up, Progie!
„Diluvium“ als vertrackt, verschachtelt oder kompliziert zu bezeichnen, wäre derbe untertrieben. Hier kloppt einem das Stilgewitter die Gehörgänge platt. Trash trifft Death trifft Black trifft Prog trifft Melodic trifft Tech. Ballernde Doublebass trifft Basssolo (sind das etwa sieben Saiten? Alter!) trifft Djentgitarre trifft Math. Der Song verzichtet erstmals auf den gepitchten Refrain und brettert in fünf Minuten furztrocken vom einen Ohr ins andere und brennt sämtliche Gehirnzellen dazwischen nieder.
Trommelgewitter mit geilen Tom-Toms, typisch Prog, aber einfach super gemacht.
Mortification of the Vulgar Sun lässt den Klischeealarm aufheulen. Aber hey – wenn man sich diese Platte zulegt, dann will man das auch so haben. Das machen andere Kapellen auch, aber nur wenige auf Obscuras Niveau. Mit den gedroppten Akkorden und Steffen Kummerers Fauchen, Zischen und Keifen bekommt der Song eine starke, angsteinflößende und düstere Note ohnegleichen - vocaltechnisch ein Highlight der Platte. Die fixen Gitarrenläufe runden den technisch perfekten Eindruck ab. Plötzlich mitten im Song: Stille. Dann Akustikgitarre.
Wilson
und
Akerfeldt
lassen grüßen. „For those about to prog, we salute you“ (hat den schon jemand gebracht? Ansonsten „dips“!).
Ethereal Skies ist schlichtweg starke Gitarrenarbeit. An irgendeiner Kreuzung haben die Herren Kummerer und
Trujillo
für dieses Können garantiert ihre Seele dem Teufel verkauft.
Steve Vai
gefällt das. Wirkte der Flanger auf der Stimme anfänglich befremdlich auf mich, greift er hier als perfektes Stilmittel und kickt besonders gut in den angehmen Harmonien. Die Dur-Parts machen derbe Laune, die Streicher sorgen für Gänsehaut und leiten elegant ins Gitarrensolo über. Die folgenden Rhythmuswechsel zeigen wieder: an den Saiten und an den Drums macht der Landshuter Knüppelkombo keiner was vor - unfassbare Geschwindigkeiten, geile Skalen. Linus Klausenitzer am Bass ist ein Großer seiner Kunst!
Convergence macht keine Gefangenen. Manche Death Kombo mit Rang und Namen würde für solch eine Differenziertheit und Geschwindigkeit töten. Drummer Sebastian Lanser zeigt hier vier Minuten puren Wahnsinn.
Hör‘ ich da
Metallica? Im Intro von
Ekpyrosis kommt ja fast Stadionatmosphäre auf. Hat sich dann aber auch fix erledigt, denn spätestens nach einer halben Minute käme unser aller Lieblingsdäne Lars Ullrich nicht mehr mit. All Killer no Filler? Zugegeben wirken die Gitarrenparts in den Strophen wie schon mal da gewesen. Aber spätestens der akkustische Part mit dem grandiosen, atmosphärischen Solo läutet wieder einen außergewöhnlich warmen und spannenden instrumentalen Part ein.
The Seventh Aeon liefert typische Obscura Trademarks ab: klassische Arragements und spanisches Flamenco-Feeling runden den wohl „popigsten“ Song des Albums ab. Sieht man mal vom blastbeat-Gewitter unter einigen Passagen ab (geil, wie die hohen Toms immer wieder durchbrechen), haben wir den angenehmsten Kopfnicker der Platte auf den Ohren.
Albumthema Tot. Jup. Wer jetzt noch lebt, wird mit The Conjuration eiskalt niedergemetzelt. Der Song ist ein abgefahrenes „schwarzes“ Gewitter. Der Wechsel zwischen stumpfen und trockenen Gitarrensounds und klaren Drums sowie umgekehrt ist ein fieser Effekt, der den knapp fünfeinhalb Minuten Raserei einen bösen Unterbau verschafft. Bestialisch gut!
Da ist er wieder, der kleine Ausflug ins Stadion. Grooviges Riff, schleppende Schwere, welche sich in die Strophe zieht. Ein kleiner „Sad but true“ Moment. An Epilogue to Infinity ist erst durchzogen von flamencoartigen Rhythmen und Hamonien. Aber schnell wird klar, dass sich im vorletzten Song der Kreis für Obscura schließt. Wie zu Beginn der Platte zieht die Band hier alle Genreregister: bestes Metal-Geballere auf die Kauleiste, hirnzermalendes Gefauche, technisch starker Prog. Das Ding hat sich in mein Kleinhirn gefräst. Die Nummer ist kein Hammer, sie ist die komplette Werkzeugkiste!
A last Farewell
stellt einen schönen konträren, weil ruihigen Abschluss dar. Soundtechnisch ein Hochgenuß, ein spannender Drift in andere Sphären, ein schöner Tod, ein Übergang ins… Ja wohin eigentlich? Hoffentlich auf viele Bühnen weltweit. Momentan touren Obscura durch Amerika, im Gepäck ein großartiges Album „Made in Germany“. Und es growlt, und growlt, growlt…